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HBS Böckler Impuls

Steuerpolitik: Deutschland schont Vermögende

Ausgabe 15/2011

Die Bundesrepublik besteuert große Vermögen schwächer als die meisten EU- und OECD-Länder. Dabei haben solche Steuern mehrere Vorzüge: Sie können Staatseinahmen sichern und die wachsende Ungleichheit eindämmen – ohne das Wirtschaftswachstum zu hemmen.

Die Besteuerung von Vermögen ist in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland auf ein sehr niedriges Niveau gesunken. 1980 trugen Steuern auf das Vermögen 3,3 Prozent zu den gesamten Abgaben bei, 2008 nur noch 2,3 Prozent. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt reduzierte sich von 1,2 auf 0,9 Prozent. Seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre wird in der Bundesrepublik keine allgemeine Vermögensteuer mehr erhoben, außerdem sank das Grundsteuer-Aufkommen. Kapitalverkehr- und Gewerbekapitalsteuer wurden abgeschafft.

„Diese Entwicklung steht im Gegensatz zur alten EU und zur OECD insgesamt, wo die vermögensbezogenen Steuern langfristig an Bedeutung gewannen“, schreibt Margit Schratzenstaller vom Wiener Wifo-Institut. 27 der 33 OECDStaaten forderten inzwischen von ihren Vermögenden einen höheren Beitrag für das Gemeinwesen als Deutschland, berichtet Schratzenstaller. Die Finanzwissenschaftlerin hat für die Friedrich-Ebert-Stiftung Begründungen, Kritik und internationale Praxis der Vermögensteuern untersucht. Sie empfiehlt der Bundesrepublik „eine stärkere Ausschöpfung vermögensbezogener Steuern“. Der Blick ins Ausland zeige, dass Steuern auf das Vermögen wie Grund- und Erbschaftsteuern „eine wichtige Rolle in einem zeitgemäßen Abgabensystem“ spielen.

Vermögensbesteuerung muss nicht die Mittelschicht belasten. Die Studie wendet sich gegen die These, eine Besteuerung von Vermögen sei nur dann lohnend, wenn hohe Steuersätze verlangt oder weite Kreise der Mittelschicht belastet würden. „Dem ist die große und steigende Ungleichverteilung von Vermögen und Erbchancen entgegenzuhalten“, sagt Schratzenstaller. Das reichste Prozent der Deutschen besitzt 23 Prozent der landesweiten Vermögens, zehn Prozent der Bevölkerung gehören 61,1 Prozent. Ähnlich sind Erbschaften und Schenkungen verteilt. 1999 bis 2001 erhielten Berechnungen zufolge 1,5 Prozente der Haushalte Erbschaften, von denen lediglich jede dritte dem einzelnen Erben mehr als 50.000 Euro brachte. Von Schenkungen profitierten 0,8 Prozent der Haushalte, nur 0,16 Prozent empfing einen Wert von 50.000 Euro und mehr. Eine Erbschaft oder eine Schenkung von einer halben Million Euro winkt gerade mal ein bis drei Promille der Bevölkerung. Dementsprechend kann der Gesetzgeber auch die Lasten der Vermögensbesteuerung konzentrieren, schreibt die Wissenschaftlerin. „Angesichts der starken Konzentration der Vermögen und Erbschaften sind auch bei nennenswerten Freibeträgen, die große Teile der Haushalte von der Besteuerung ausnehmen, substanzielle Steuereinnahmen zu erwarten.“

Ansetzen bei Immobilien- und Grundbesitz. Schratzenstaller plädiert zunächst für eine stärkere Ausschöpfung der Grundsteuer, die grundsätzlich ein hohes Einnahmepotenzial hat. So ist das Nettovermögen der Deutschen zu gut 80 Prozent in Immobilien gebunden. 2007 besaßen 36 Prozent der Bevölkerung selbst bewohnte Gebäude, 10 Prozent hatten Immobilien vermietet. Auch hier besitzen wenige recht viel: 7,5 Prozent der Haushalte gehörten Immobilien mit einem Marktwert von mehr als einer halben Million Euro, 1,6 Prozent der Haushalte mit einem Preis von über einer Million Euro. Für eine effektive und gerechte Besteuerung müssten allerdings die Grundstückswerte präziser beziffert werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte schon 1995 im Urteil zur Vermögensteuer kritisiert, dass die für die Besteuerung der Grundstücke herangezogenen Einheitswerte veraltet seien. Diese Einheitswerte spiegelten die faktischen Wertverhältnisse nicht wider. Statt aber eine Aktualisierung vorzunehmen, wurde die Vermögensteuer ausgesetzt. Das Problem der unzureichenden Bewertung wirkt sich auch bei der Grundsteuer aus. Der Bundesfinanzhof hat darum ebenfalls eine Neubewertung angemahnt.

Die Verwaltungskosten fressen nicht den Ertrag auf. Die Besteuerung von Vermögen kann aufwändig sein, das gilt neben der Ermittlung der Vermögenswerte auch für die Kontrolle der Steuererhebung. Es gibt nur wenige Schätzungen über die Kontrollkosten. Je nach Studie belaufen sich die gesamten Verwaltungskosten auf 1,7 bis 2,3 Prozent des Steueraufkommens, berichtet Schratzenstaller. Ausreißer nach oben ist eine Schätzung von 1989, der zufolge eine allgemeine Vermögensteuer 20 Prozent des erzielten Steueraufkommens verzehren würde. „Selbst bei den aus Verwaltungssicht teuersten Steuern machen die Verwaltungskosten nur den kleineren Teil der Einnahmen aus“, so die Forscherin.

Höhere Erbschaftsteuer und eine neue Finanztransaktionsteuer. Ein modernes System der Vermögensbesteuerung basiere auf einer abgestimmten Kombination von verschiedenen auf das Vermögen und dessen Erträge bezogenen Steuern, schreibt die Studienautorin. Dazu zähle eine höhere Erbschaft- und Schenkungsteuer, als sie der deutsche Staat bislang erhebt. Zudem verweist Schratzenstaller darauf, dass „Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nur einer mäßigen effektiven Steuerbelastung unterliegen“. Hier wären großzügige Abschreibungsmöglichkeiten von Baukosten einzuschränken. Die WifoÖkonomin wirbt darüber hinaus für eine Finanztransaktionsteuer. Diese Steuer habe zwei Vorteile: ein durchaus beträchtliches Aufkommenspotenzial sowie die Möglichkeit, „Instabilitäten auf den Finanzmärkten einzudämmen“. Als Bemessungsgrundlage bietet sich der Wert eines Finanzproduktes an. Der Steuersatz sollte recht gering sein, damit vor allem schnelle, also spekulative Transaktionen erfasst werden. Kleinanleger – die konservativ sparen und anlegen – wären nicht belastet.


Kasten:

Vier Gründe für Vermögenssteuern

Die Wissenschaftlerin Margit Schratzenstaller empfiehlt, Vermögen stärker zu besteuern – und das nicht allein wegen des öffentlichen Finanzbedarfs. Bereits grundlegende ökonomische und steuersystematische Abwägungen sprächen dafür.

Wachstum. Eine Besteuerung von Vermögen geht gemäß neuerer empirischer Studien kaum zulasten von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Andere Abgaben wie etwa die Einkommensteuer können das wirtschaftliche Verhalten der Bürger stärker beeinträchtigen, erklärt die Forscherin. Bei Steuern auf das Vermögen hält die Wissenschaftlerin sogar den gegenteiligen Effekt für denkbar: Sie könnten Wohlhabende zu einer produktiveren Verwendung ihres Eigentums bewegen. Wer für sein Vermögen zahlt, achtet auch darauf, dass es Erträge abwirft.

Verteilung. Das wirtschaftspolitisch wichtigste Argument: Eine Vermögensbesteuerung kann die gesellschaftliche Ungleichheit und damit wirtschaftliche Instabilitäten reduzieren. Für das vergangene Jahrzehnt haben Ökonomen des IMK beobachtet, dass die wachsende Ungleichheit die Güternachfrage schwächte, weil die ärmeren Schichten weniger Geld hatten. Gleichzeitig mussten die Besitzenden ihre zunehmenden Vermögen anlegen. Das blähte die Finanzmärkte auf – mit den bekannten Folgen. Eine bessere Vermögensbesteuerung könnte diese Entwicklung umkehren. „Es gibt gute ökonomische Argumente dafür, dem von vielen Industriestaaten eingeschlagenen Weg zu folgen und in Deutschland das Gewicht vermögensbezogener Steuern als Einnahmequelle zu stärken“, resümiert Schratzenstaller.

Steuerrecht. Eine stärkere Besteuerung von Vermögen lässt sich auch nach steuerrechtlichen Grundsätzen rechtfertigen. Nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip ebenso wie nach dem Äquivalenzprinzip: Vermögen bietet mehr Sicherheit als ein Arbeitseinkommen, Vermögende sind wirtschaftlich leistungsfähiger. Und sie haben laut Schratzenstaller einen „besonderen Nutzen aus der staatlichen Schutzfunktion“. Der Staat erfasst und schützt privates Eigentum, dazu unterhält er Institutionen wie Polizei, Katasteramt und Gerichte, von denen Wohlhabende überproportional profitieren. Außerdem führt die Studie an, dass Vermögen nicht selten ohne eigenes Zutun erworben wird. Und dass der Staat in einer Demokratie ungleiche Startchancen zumindest reduzieren darf und sollte.

Durchsetzbarkeit. Mit Ausnahme von Steuern auf Finanzvermögen gilt der Forscherin zufolge für die meisten auf das Vermögen bezogenen Abgaben: Sie sind „wenig anfällig für den internationalen Steuerwettbewerb und somit auf nationaler Ebene gut durchsetzbar“. Grundbesitz ist an den Ort gebunden. Und um der Erbschaft- und Schenkungsteuer auszuweichen, müssten sowohl Erblasser wie Erbe, Schenkender wie Beschenkter ihren  Wohnsitz und ihr Vermögen ins Ausland verlegt haben.

  • Die Abgaben auf Arbeitskommen stiegen in den vergangenen 30 Jahren, Kapitaleinkommen wurden entlastet. Zur Grafik
  • Deutschland ist kein Hochsteuerland. Zur Grafik
  • Vermögen sind vor allem in Häusern angelegt. Zur Grafik

Margit Schratzenstaller: Vermögensbesteuerung – Chancen, Risiken und Gestaltungsmöglichkeiten (pdf), Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung, April 2011

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