zurück
HBS Böckler Impuls

Europa: Niedrigzinsen und Eurobonds können Griechenland-Krise entschärfen

Ausgabe 11/2011

Eine Umschuldung Griechenlands würde auf den Finanzmärkten Misstrauen und Spekulation befeuern. Geraten dadurch auch andere Euro-Problemländer unter zusätzlichen Druck, bekommen deutsche Banken und Exporteure erhebliche Probleme.

Ein Schuldenschnitt Griechenlands eröffnet nur geringe Chancen auf eine Lösung der Euro-Krise. Dagegen bringt er den Krisenländern ebenso wie ihren Euro-Partnern große Risiken. Das gilt sowohl für einen harten „Hair cut“, bei dem Gläubiger einen Teil ihrer Forderungen abschreiben müssen, als auch für „weichere“ Formen einer Umschuldung. Diese Einschätzung unterstreicht das IMK mit einer neuen Untersuchung. Auf Basis der neuesten Daten analysieren Gustav Horn, Fabian Lindner und Torsten Niechoj, welche Konsequenzen eine Umschuldung für Finanzmärkte, Staatsfinanzen und Steuerzahler in der Eurozone hätte – und wie eine risikoärmere Alternative zur Bewältigung der Krise aussehen könnte.

Geringer Vorteil, großes Risiko

25 bis 35 Prozent – in diesem Korridor lag nach einer Studie von Experten des Internationalen Währungsfonds der Abschlag, den private Gläubiger bei den meisten Staatsinsolvenzen zwischen 1998 und 2005 hinnehmen mussten. Im Falle Griechenlands würde ein Schnitt von 35 Prozent zwar die Schulden und auch den Zinsdienst zunächst massiv verringern. Er dürfte aber einen Zusammenbruch des griechischen Bankensystems provozieren und die schon jetzt sehr fragile griechische Wirtschaft weiter schwächen, prognostiziert das IMK. Schließlich haben griechische Banken dem Staat so viel Geld geliehen, dass die Forderungen im vierten Quartal 2010 gut 150 Prozent ihres gesamten Eigenkapitals und ihrer Reserven ausmachten. Ihre Rettung würde wieder öffentliche Hilfen in Anspruch nehmen – und die griechischen Staatsschulden damit erneut deutlich nach oben treiben. Die anfängliche Schuldenreduktion wäre ein Pyrrhussieg, warnt das IMK.

„Sanfte“ Formen des Schuldenschnitts, etwa die freiwillige Verlängerung von Kreditlaufzeiten, würden das Bankensystem auf den ersten Blick nicht so stark treffen. „Solche Ansätze haben allerdings bestenfalls symbolische positive Wirkungen. Und das wahrscheinlich zu einem hohen Preis“, sagt Gustav Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. Denn schon eine „weiche“ Umschuldung dürfte die ohnehin nervösen Finanzmärkte weiter irritieren. Ratingagenturen könnten die Friststreckung als Zahlungsausfall bewerten. Aus Sicht der Anleger würde die gesamte Euro-Union zur Risikozone, in der Staatsinsolvenzen prinzipiell möglich sind, weil keine mächtige nationale Zentralbank mit aller Konsequenz eingreift. Dadurch hätte nicht nur Griechenland viele private Kreditgeber dauerhaft verprellt. Auch alle anderen Euro-Länder müssten höhere Zinsen als Risikoaufschlag auf ihre Staatsanleihen zahlen, so das IMK. Irland oder Portugal und selbst Spanien könnte das neue, schwere Probleme bringen – weil sich dann neue Spekulationsattacken gegen diese Länder richten würden.

Ausweg Abwertung versperrt

Die Griechen, so die Wissenschaftler, hätten es nach einer Umschuldung an den Kreditmärkten womöglich sogar schwerer als Argentinien nach der Staatspleite von 2002. Zwar muteten die Südamerikaner ihren Gläubigern Abschläge von 73 Prozent zu. Durch eine starke Abwertung der Landeswährung wurden argentinische Exportgüter aber relativ schnell konkurrenzfähig, das machte das Land für ausländische Gläubiger wieder attraktiv. Griechenland und anderen Euro-Staaten ist dieser Ausweg versperrt, weil sie keine eigene Währung besitzen. Damit fehle den Hellenen ein wichtiges Instrument, um ihr seit Jahren hohes Leistungsbilanzdefizit rasch zu reduzieren, so das IMK. Eine so genannte reale Abwertung über schwächere Lohnsteigerungen sei notwendig, aber sie werde die griechische Wettbewerbsfähigkeit erst langfristig verbessern. Und das auch nur unter einer Voraussetzung, betonen die Forscher: In Euro-Staaten wie Deutschland, die massive Leistungsbilanzüberschüsse verzeichnen, müssten Investitionen und Löhne stärker als bisher steigen, um für Nachfrage zu sorgen.

Rückkehr zur Drachme? Euro droht massive Aufwertung

Theoretisch könnte Griechenland zwar zur Drachme zurückkehren und abwerten. Es würde dann aber vollends von seinen Altschulden erdrückt, wenn diese weiterhin in Euro lauten. Auch die übrigen Mitglieder der Währungsunion hätten gravierende Nachteile, analysiert das IMK. Auf den Finanzmärkten dürften sich dann die Zweifel an der Zahlungs- und „Euro-Fähigkeit“ von Ländern wie Portugal, Irland und Spanien verstärken. „Es könnte sich das wiederholen, was bereits die portugiesischen und irischen Rettungsmaßnahmen nötig gemacht hat: eine sich selbst erfüllende Prophezeiung“, warnen die Forscher. Sollten diese Staaten dann auch zu einem Schuldenschnitt gezwungen sein und diesen mit einem Austritt aus der Währungsunion verbinden, „wäre dies gleichbedeutend mit dem Ende des Euroraums, wie wir
ihn kennen.“ Folge: Der „Rest-Euro“ dürfte drastisch aufwerten, weil Anleger aus den ausgeschiedenen Staaten ihr Kapital in Euro-Anlagen umschichten. Darunter würde die internationale Konkurrenzfähigkeit etwa der deutschen Exporteure leiden.

Härtetest für Banken

Auch auf den deutschen Bankensektor käme ein Stresstest zu. Müssten Gläubiger gegenüber öffentlichen und privaten Schuldnern in Griechenland 50 Prozent ihrer Forderungen abschreiben, verlören die deutschen Banken, Stand Dezember 2010, zwar lediglich bis zu 12,8 Milliarden Euro. Das entspräche knapp 3,4 Prozent ihres Eigenkapitals von gut 380 Milliarden. Weitaus gravierender könnten aber die indirekten Effekte ausfallen, wenn auch Irland, Portugal oder Spanien auf den Finanzmärkten unter weiteren Druck gerieten. Denn die Forderungen deutscher Banken gegenüber öffentlichen und privaten Schuldnern in diesen drei Staaten plus Griechenland summieren sich auf knapp 94 Prozent ihres Eigenkapitals. „Auch wenn nicht genau klar ist, inwieweit die Forderungen schon Wertberichtigungen enthalten, ist das doch eine massive Größe, die das deutsche Bankensystem vor schwere Herausforderungen stellen würde“, so das IMK. „Bei einer großen Panik des Finanzsystems müsste in Deutschland wieder – wie schon 2008 – der Staat beispringen, indem er sich nochmals stark verschuldet und private in öffentliche Schuld überführt, um einem Bankenkollaps vorzubeugen.“
Die Europäische Zentralbank (EZB) hält ebenfalls erhebliche Forderungen in Griechenland, die von einem Schuldenschnitt betroffen wären. Experten nehmen an, dass die EZB bis März 2011 der griechischen Notenbank rund 85 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat. Und für schätzungsweise weitere 50 Milliarden Euro hat die EZB griechische Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt gekauft.

Niedrigzinsen als Alternative

Angesichts dieser Risiken favorisieren die Wissenschaftler einen anderen Weg zur Euro-Stabilisierung. „Anders als die bisherige Strategie, die ohne Perspektive von Hilfsprogramm zu Hilfsprogramm stolpert, gilt es Lösungen zu finden, die auch ein Ende der Krise glaubhaft erscheinen lassen.“ Als bessere Alternative empfiehlt das IMK daher eine Niedrigzinsstrategie: Erstens solle der Rettungsschirm der Euro-Staaten alle bereits ausgegebenen Staatsanleihen garantieren. Zweitens regen die Ökonomen die Ausgabe von so genannten Eurobonds an – Staatsanleihen, für die die Euro-Staaten auch zukünftig gemeinsam bürgen und die deshalb zu einem vergleichsweise niedrigen Zinssatz von rund drei Prozent verkauft werden könnten.

Für den Zeitraum bis 2015 haben das IMK und seine ­europäischen Partnerinstitute – das OFCE aus Paris und
das Wiener WIFO – berechnet, wie sich eine Niedrigzinsstrategie auswirken würde. Kernergebnis: Vor allem die Krisenstaaten, aber auch die deutsche Wirtschaft würden von ­einem stärkeren Wachstum profitieren. Das würde es erleichtern, die Schuldenprobleme in den Griff zu bekommen, so die Forscher.
Die Modellrechnung lässt erwarten, dass Griechenland die Abwärtsspirale aus hohen Zinsforderungen, schlechten Ratings und steigender Verschuldung durchbrechen könnte. So würde die Staatsschuldenquote im Niedrigzinsszenario bis 2015 auf rund 110 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückgehen – ganz ohne Schuldenschnitt und seine möglichen Negativ-Folgen.

  • Deutsche Banken halten in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien Forderungen in Höhe von 94 Prozent ihres Eigenkapitals. Schuldenschnitte in den Krisenstaaten wären daher auch für den deutschen Finanzmarkt eine Herausforderung. Zur Grafik
  • Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Staatsschulden hochgetrieben. Besonders drastisch war die Entwicklung in den Euro-Krisenstaaten. Doch auch in Deutschland stiegen die Verbindlichkeiten zwischen 2007 und 2010 um fast zwanzig Prozentpunkte. Zur Grafik

Gustav A. Horn, Fabian Lindner, Torsten Niechoj: Schuldenschnitt für Griechenland – ein gefährlicher Irrweg für den Euroraum (pdf), IMK Report Nr. 63, Juni 2011.

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen