Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitsmarkt: Mit Arbeitszeitkonten durch die Krise
In der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit haben deutsche Unternehmen kaum Beschäftigte entlassen - obwohl das rechtlich leichter möglich war als in früheren Abschwüngen. Stattdessen spielten Arbeitszeitkonten eine herausragende Rolle.
Trotz des dramatischen konjunkturellen Einbruchs aufgrund der Finanzkrise blieb in Deutschland die Arbeitslosigkeit vergleichsweise niedrig. Manche Ökonomen sprechen sogar von einem Beschäftigungswunder. Das vermeintliche Wunder ist jedoch keins, zeigt die Analyse von WSI-Forscher Alexander Herzog-Stein und Hartmut Seifert. Arbeitszeitverkürzung über Arbeitszeitkonten, in Form von Kurzarbeit oder Überstundenabbau verhinderten massive Entlassungen.
Die Wissenschaftler haben die Reaktionen der Betriebe in Zeiten besonders starker Konjunktureinbrüche miteinander verglichen: Bereits während der ersten Ölkrise 1973 griffen Unternehmen zu Instrumenten der internen Flexibilität wie Kurzarbeit oder Abbau von Überstunden, um Beschäftigung zu sichern. Allerdings haben sich im Vergleich zu früheren Konjunktureinbrüchen die institutionell-rechtlichen Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt erheblich verändert. Betriebe können nun leichter auf eine Wirtschaftskrise reagieren - mit interner Flexibilität, aber auch mit Personalabbau.
Vor allem tarifvertragliche Regelungen machen mehr interne Flexibilität möglich:
- Besonders über Arbeitszeitkonten können Betriebe die Arbeitszeit variabel gestalten - mehr Arbeit in Boom-, weniger in Baisse-Zeiten. Mittlerweile nutzt etwa die Hälfte aller Beschäftigten solche Konten.
- In zahlreichen Tarifbereichen besteht auch die Möglichkeit, die bestehende Regelarbeitszeit zu variieren - innerhalb vorgegebener Grenzen oder im Rahmen von Korridor-Regelungen.
- Etwas weniger genutzt als noch in den Jahren 1973 bis 1975 haben Unternehmen das Kurzarbeitergeld. Es ist für sie vergleichsweise teurer geworden, da sie inzwischen zumindest für die ersten sechs Monate die Sozialversicherungsbeiträge für die verkürzte Arbeitszeit zahlen müssen - außer wenn sie ihre Beschäftigten weiterbilden.
Zusätzlich dazu eröffnete der Gesetzgeber neue Möglichkeiten für externe Flexibilität:
- Der Kündigungsschutz wurde gelockert. Die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes gelten nun erst in Betrieben mit mindestens elf Beschäftigten.
- Bei der Leiharbeit entfielen die Begrenzung der Überlassungsdauer, das Wiedereinstellungs- und das Synchronisationsverbot - also das Verbot für Leiharbeitsfirmen, Arbeitnehmer nur für einen bestimmten Einsatz einzustellen.
- Die sachgrundlose Befristung, in den 1970er-Jahren noch gar nicht möglich, ist inzwischen für den Zeitraum von zwei Jahren erlaubt, bei neu gegründeten Unternehmen für vier Jahre. Über Tarifverträge kann sie sogar noch ausgeweitet werden.
"Überraschend ist, dass die erweiterten Möglichkeiten externer Flexibilität offensichtlich nur relativ mäßig genutzt werden", so Herzog-Stein und Seifert. Zwar habe die Bedeutung von Leiharbeit zugenommen. Doch scheine der Abbau von Stammarbeitskräften in der jüngsten Rezession weniger zur Anpassung des Arbeitseinsatzes beigetragen zu haben.
Der Vergleich von 1973 und 2008 zeigt: Im Zuge der ersten Ölkrise sicherten die Kurzarbeit und andere Maßnahmen 4,4 Prozent der Arbeitsplätze. Dennoch war die Zahl der Erwerbstätigen nach zwei Jahren um 3,4 Prozent oder 914.000 Personen gesunken. In den vergangenen Jahren hingegen nahm die Beschäftigung sogar um 0,2 Prozent zu. Ohne Anpassung der Arbeitszeiten und -produktivität hätte die Beschäftigtenzahl nach Berechnungen der Forscher um knapp 8 Prozent oder 3 Millionen sinken müssen.
Instrumente der internen Flexibilität spielten eine entscheidende Rolle, so Herzog-Stein und Seifert. In beiden Abschwüngen war die Kurzarbeit ähnlich bedeutsam für die Beschäftigungssicherung. Der Abbau von Überstunden hat jedoch an Bedeutung verloren. Die Betriebe favorisieren stattdessen Arbeitszeitkonten. Diese hatten sich aufgrund des Booms ab 2005 mit einem hohen Stunden-Guthaben gefüllt.
Die Beschäftigten leisteten damit einen großen Beitrag zur Sicherung ihrer Jobs, erläutern die Forscher: Bei Kurzarbeit verteilen sich die Kosten auf Beitragszahler, Betriebe und Beschäftigte. Bei anderen Formen der Arbeitszeitverkürzung hingegen tragen überwiegend die betroffenen Arbeitnehmer die Anpassungskosten. "Die neuen Instrumente zur internen Flexibilität haben es möglich gemacht, eine antizyklische Arbeitszeitpolitik zu betreiben, die Beschäftigung sichern kann", so das Resümee. Es gelte, diese kooperative Seite des deutschen Arbeitsmarktes weiter auszubauen.
Alexander Herzog-Stein, Hartmut Seifert: Der Arbeitsmarkt in der Großen Rezession - Bewährte Strategien in neuen Formen, in: WSI-Mitteilungen 11/2010
Alexander Herzog-Stein, Fabian Lindner, Simon Sturn, Till van Treeck: Vom Krisenherd zum Wunderwerk? Der deutsche Arbeitsmarkt im Wandel (pdf), IMK Report Nr. 56 November 2010