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WSI Niedriglohn-Monitoring: Seit 2010 von 16 auf 6 Prozent : Zahl der tariflichen Vergütungsgruppen unter 8,50 Euro erneut zurückgegangen

07.05.2015

Die Zahl der tariflichen Vergütungsgruppen, in denen Stundenlöhne unter 8,50 Euro ge-zahlt werden, ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Das ergibt eine aktuelle Auswertung, die das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung vorlegt. Das WSI-Tarifarchiv hat rund 4.560 Vergütungsgruppen aus 40 Branchen und Wirtschaftszweigen untersucht. Im Januar 2015 sahen nur 6 Prozent davon Stundenlöhne von weniger als 8,50 Euro vor. Ende 2013 lag der Anteil noch bei 10 Prozent, Anfang 2010 noch bei 16 Prozent.

„Diese positive Entwicklung zeigt, dass die Gewerkschaften die Situation im Niedriglohnsektor aus eigener Kraft deutlich verbessert haben“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Dr. Reinhard Bispinck. „Dabei hat sicherlich geholfen, dass der von den Gewerkschaften seit langem geforderte und nun eingeführte allgemeine gesetzliche Mindestlohn den Druck auf die Arbeitgeberverbände erhöht hat“, so der Tarifexperte.

Bei den aktuell noch in Tarifverträgen ausgewiesenen Vergütungsgruppen unter 8,50 Euro unterscheiden die Forscher zwei Typen: Ein großer Teil davon (rund zwei Drittel bzw. 4 von 6 Prozent) ist in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen zu Branchenmindestlöhnen geregelt. Diese Branchenmindestlöhne nutzen die im Mindestlohngesetz vorgesehene zweijährige Übergangsfrist, die bis Ende 2016 eine Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro durch allgemeinverbindliche Tarifverträge repräsentativer Tarifparteien zulässt. Die zweite, kleinere Gruppe stammt vor allem aus älteren Tarifverträgen, die zum Teil schon seit Jahren nicht mehr neu verhandelt wurden. Sie sind seit Januar 2015 nicht mehr gültig, weil der allgemeine Mindestlohn sie verdrängt.

Die WSI-Untersuchung zeigt: Die große Mehrheit, 94 Prozent der Vergütungsgruppen aus Tarifverträgen, die DGB-Gewerkschaften abgeschlossen haben, sieht Stundenlöhne von 8,50 Euro und mehr vor. Insgesamt 83 Prozent der Vergütungsgruppen beginnen mit einem Stundensatz von mindestens 10 Euro. Letzteres gilt für alle Tarifgruppen in wichtigen Branchen wie der Metall- und der Chemieindustrie, dem Bankgewerbe, dem Bauhauptgewerbe, der Süßwarenindustrie und der privaten Abfallwirtschaft. 13 Prozent der Tarifgruppen liegen sogar bei 20 Euro und mehr. Das Tarifsystem setzt so Untergrenzen oberhalb der Niedriglohnschwelle.

„Tarifverträge sind ein wichtiger Schutz gegen niedrige Löhne“, sagt WSI-Experte Bispinck. Das belegen auch andere Untersuchungen: Wer nach Tarif bezahlt wird, verdient im Durchschnitt gut sechs Prozent mehr als ein Beschäftigter mit gleicher Qualifikation und Tätigkeit in einem vergleichbaren Betrieb ohne Tarifbindung, ergibt eine WSI-Studie auf Basis der jüngsten Tarifstrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes. Eine Untersuchung des Bundesamtes kam zu dem Schluss, dass Beschäftigte ohne Tarifvertrag 2010 fast dreimal so häufig für einen Niedriglohn arbeiteten wie Beschäftigte, die nach Tarif entlohnt wurden.

Wie viele Beschäftigte in die noch gültigen Tarifgruppen unter 8,50 Euro fallen, lässt sich nicht sagen, weil es generell keine übergreifenden Daten dazu gibt, wie viele Beschäftigte von ihren Unternehmen wie eingruppiert werden. Wahrscheinlich ist, dass etliche der Tarifgruppen im Niedriglohnbereich nur für recht wenige, gering qualifizierte Mitarbeiter gelten. Aber in einzelnen Wirtschaftszweigen sind tarifliche Niedriglöhne nach der aktuellen WSI-Auswertung noch relativ weit verbreitet. Dazu zählen verschiedene Handwerks- und Dienstleistungsbranchen, in denen es oft viele kleine Betriebe und relativ wenig organisierte Beschäftigte gibt.

Die genauere Analyse der tariflichen Niedriglohngruppen ergibt folgendes Bild:

  • Niedrige Tarifgruppen unter 8,50 Euro bestehen in 19 Branchen, zumeist begrenzt auf einzelne regionale Tarifgebiete. Besonders betroffen sind fünf Branchen: Floristik, Friseurhandwerk, Gebäudereinigerhandwerk, Landwirtschaft und Erwerbsgartenbau. In diesen Branchen liegen zwischen 21 und 83 Prozent der Vergütungsgruppen unterhalb von 8,50 Euro.
  • Die niedrigen Vergütungsgruppen verteilen sich unterschiedlich auf Ost- und Westdeutschland: Mehrheitlich gelten Vergütungsgruppen unterhalb von 8,50 Euro in ostdeutschen Tarifbereichen. Dort beträgt ihr Anteil 18 % an allen Vergütungsgruppen, in Westdeutschland sind es dagegen nur 3 %.
  • In einigen Branchen ist der Anteil der Niedriglohngruppen seit 2010 besonders stark zurückgegangen. Dies gilt vor allem für das Bewachungsgewerbe, die Hotels und Gaststätten, das Fleischerhandwerk und den Erwerbsgartenbau.

In folgenden Niedriglohnbereichen bestehen Branchenmindestlöhne, für die Stufenpläne zur Anhebung auf 8,50 Euro und darüber hinaus bereits vereinbart sind.

  • Fleischindustrie: Im Oktober 2015 wird der Mindestlohn von 8,00 Euro auf 8,60 Euro und im Dezember 2016 auf 8,75 Euro angehoben.
  • Friseurgewerbe: Hier steigt der 2013 vereinbarte allgemeinverbindliche Mindestlohn im August 2015 auf einheitliche 8,50 Euro.
  • Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau: Die untersten Lohngruppen von 7,20/7,40 Euro (Ost/West) steigen im Januar 2016 auf 7,90/8,00 Euro und dann im Januar 2017 auf einheitlich 8,60 Euro und im November 2017 auf 9,10 Euro.
  • Leih-/Zeitarbeit: Hier wird der Mindestlohn Ost von 7,86 Euro im April 2015 auf 8,20 Euro und im Juni 2016 auf 8,50 Euro angehoben.
  • Textil- und Bekleidungsindustrie Ost: Hier wird der Mindestlohn von 7,50 Euro zum Januar 2016 auf 8,25 Euro und im November 2016 auf 8,75 Euro angehoben.
  • Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft Ost inkl. Berlin: Der Mindestlohn von 8,00 Euro wird zum Juli 2016 auf 8,75 Euro angehoben.

Weitere Informationen:

R. Bispinck/WSI-Tarifarchiv, WSI-Niedriglohn-Monitoring 2015
: Entwicklung der tariflichen Vergütungsgruppen im Niedriglohnbereich (pdf). Eine Untersuchung in 40 Wirtschaftszweigen, in: Elemente qualitativer Tarifpolitik, Nr. 80, Düsseldorf, April 2015.

Kontakt:

Dr. Reinhard Bispinck
Leiter WSI-Tarifarchiv

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

Die Pressemitteilung mit Grafiken (pdf)

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