Forschungsprojekt: Zunehmende Kompetenz wachsende Unsicherheit

Projektziel

Der Vorrang des industriellen Exportmodells kann zu schwerwiegenden inneren wie internationalen Schieflagen in der Wirtschafts- und Sozialstruktur führen, wenn er nicht durch eine aktive Sozialpolitik und Tarifpolitik flankiert wird. Ein neuartiges Gesamtbild auf der Basis des Mikrozensus zeigt die einschneidenden Verschiebungen der Balancen zwischen den Berufsgruppen des Erwerbssystems seit 1991.

Projektbeschreibung

Kontext

Es gibt bisher kein Gesamtbild des Strukturwandels des arbeitsteiligen Erwerbsgefüges. Diagnosen allumfassender Trends wie der Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, des Endes der Industrie- oder Facharbeit, der Erosion der Mitte, der Prekarisierung usw. sind Verabsolutierungen auf zu schmaler oder veralteter Datenbasis. Zur präzisen Bestimmung der Größenordnungen der Strukturverschiebungen sind ein Konzept des Gesamtraums der Berufsgruppen und eine Längsschnittanalyse mit Datensätzen z.B. des Mikrozensus nötig, die groß genug sind, um genügend Teilgruppen zu erfassen. Ein solches dynamisches Gesamtbild ist als Orientierungsgrundlage erforderlich, weil seit Beginn der 1990er Jahre das Erwerbssystem, die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Staates und die Strategien der Unternehmen und Gewerkschaften durch beschleunigten Wandel der internationalen Arbeitsteilung und Wirtschaftsbeziehungen und wechselnde Boom- und Krisenphasen zu einschneidenden Veränderungen herausgefordert sind.

Fragestellung

Das Projekt sollte die langfristigen Veränderungstrends der Erwerbsgliederung, die bisher nur selektiv oder pauschalisierend an Einzelkategorien ermittelt worden sind, als Dynamik im Gesamtzusammenhang herausarbeiten. Auf der Makroebene sollten Ausmaß, Trends, Gegentrends und Phasen der Strukturverschiebungen zwischen den Berufsgruppen seit der deutschen Vereinigung und der beschleunigten Exportzunahme ermittelt werden. Im Zentrum dieses dynamischen Mosaikbildes sollten die Verschiebungen nach der Art der Arbeit (Qualifikationsstufe, Sektor usw.) und nach Art des Erwerbsverhältnisses (Einkommen, Teilzeitarbeit, Befristung, Prekarität, Scheinselbständigkeit usw.) stehen. Gleichzeitig sollte mit Hilfe der großen Stichproben des Mikrozensus auch die Struktur der feinen Differenzierungen auf der Meso- und Mikroebene ermittelt werden. Dabei sollten insbesondere die Unterschiede nach Region und Bundesländern sowie nach Geschlecht, Migrationsstatus und Altersklassen herausgearbeitet werden.

Untersuchungsmethoden

Analysiert wurden die Daten des Mikrozensus in ausgewählten Jahren seit 1991 mit dem von Weber-Menges und Vester weiterentwickelten Modell von Oesch. Damit wurden die ca. 2.300 Erwerbsberufe der BRD nach vier Qualifikationsstufen und vier Sektoren (nach Arbeitslogiken) in 19 "Erwerbsklassen" (nach Weber) eingeteilt. Diese wurden zusätzlich durch beschreibende Variablen (Geschlecht, Alter, Migration, Bundesländer usw.) unterteilt und nach Lagemerkmalen beschrieben. So konnten die Strukturveränderungen als komplexe, gegensätzliche und nach Phasen verschiedene Bewegungen in einem mehrdimensionalen Gesamtbild quantitativ präzise verortet werden. Mit den trennscharfen neuen Differenzierungen wurde das Problem gelöst, dass wichtige Trends wie die Tertiarisierung, die Höherqualifikation und die Feminisierung der Berufe oder die Prekarisierung nicht zuverlässig dargestellt werden konnten, weil mit pauschalisierenden Sammelkategorien heterogene Gruppen und Trends miteinander vermischt wurden.

Darstellung der Ergebnisse

Der Vorrang des industriellen Exportmodells fördert die Entwicklung, aber auch Schief- und Konfliktlagen, wenn er nicht durch aktive Sozial- und Tarifpolitik flankiert wird. Dies bestätigen umfassende Datenanalysen des Mikrozensus. Die hochqualifizierten Erwerbstätigen wuchsen 1991-2009 von 31 Prozent auf 45 Prozent, v.a. in der oberen Mitte. Dagegen haben sich die Empfänger prekärer Einkommen (unter 75 Prozent des Durchschnitts) auf fast 40 Prozent verdoppelt, v. a. 2000-2007, unter der Agenda-Politik. Betroffen sind nicht nur die geringer Qualifizierten durch Abstiege zwischen den Gruppen unterhalb des Durchschnitts. Benachteiligt sind auch die Sozialdienstleistungen (Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Soziales), unter denen besonders Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund sind, und bestimmte Bundesländer. Zudem wächst ein Prekariat von kleingewerblichen und von hoch qualifizierten akademischen Selbstständigen. Diese vertikalen und horizontalen Polarisierungen verlaufen aufgrund noch intakter sozial- und tarifpolitischer Mechanismen noch nicht extrem und können durch Verstärkung dieser Mechanismen (wie die ver.di-Tarifkämpfe zeigen) zurückgefahren werden.

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