Projektbeschreibung
Kontext
Im Zuge der EU-Osterweiterung traten zehn post-sozialistische Länder der Europäischen Union bei. Seitdem sind auch die Gewerkschaften dieser Länder berechtigt, sich an den Entscheidungsfindungsprozessen der Europäischen Union zu beteiligen. Dies fällt ihnen aber aufgrund organisatorischer sowie struktureller Schwächen schwer.
Gewerkschaften aus den neuen Mitgliedsländern waren so auf der EU-Ebene klar unterrepräsentiert und nur schwach vertreten. Gleichzeitig sind Gewerkschaften aus den neuen Mitgliedsländern aber auch über andere Kanäle, wie etwa Europäische Betriebsräte oder regionale Kooperationen, mit Gewerkschaften aus anderen (alten und neuen) EU-Mitgliedsländern vernetzt.
Die Gewerkschaften aus den neuen Mitgliedsländern haben in der Regel ein deutlich positives Bild der Europäischen Union. Sie sehen den Einfluss der EU auf die nationale Politik eher als hilfreich an und unterstützen mit großer Mehrheit eine stärkere Rolle der EU.
Fragestellung
Das Projekt hat (in Fortsetzung einer Studie von 2007) die Integration der Gewerkschaften aus den mittelost- und südosteuropäischen Mitgliedsländern in das System der EU-Governance untersucht. Neben der EU-Ebene wurden dabei auch Europäische Betriebsräte und interregionale Gewerkschaftsräte einbezogen. Inwieweit sind Gewerkschaften aus den neuen Mitgliedsländern in europäische Strukturen integriert? Wie bewerten sie die entsprechende Zusammenarbeit? Darauf aufbauend wurde untersucht, welche Strategien die Gewerkschaften aus den EU-Staaten der Osterweiterung dabei verfolgen und wie diese Strategien intern entwickelt und diskutiert werden. Die empirischen Ergebnisse wurden rückgebunden an die Interessengruppenforschung und die Europäisierungsforschung.
Untersuchungsmethoden
Einbezogen in die Studie waren die größten Gewerkschaften aus den sechs größten EU-Mitgliedsländern der Osterweiterung (Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowakei, Tschechien, Ungarn). Für jedes Land wurden die nationalen Dachverbände sowie die nationalen Branchenverbände für Bergbau, Metallindustrie, Handel und Finanzen berücksichtigt. Insgesamt handelt es sich um 56 Gewerkschaften, bei denen soweit möglich jeweils alle mit der EU, Europäischen Betriebsräten und interregionalen Gewerkschaftsräten befassten leitenden Mitarbeiter sowie ein Vorstandsmitglied mit breiteren Zuständigkeiten interviewt wurden. Alles in allem wurden über 150 Interviews durchgeführt sowie ausführliche Fallstudien für ausgewählte Gewerkschaften erstellt.
Darstellung der Ergebnisse
Wie schon in der Vorgängerstudie von 2007 zeigte sich, dass die untersuchten Gewerkschaften insbesondere über europäische Dachverbände Interessen auf Ebene der EU vertreten und vor allem über den Europäischen Sozialdialog sowie den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss Zugang an den politischen Prozessen beteiligt sind. Zugang zur Europäischen Kommission, zum Europäischen Parlament oder zum Rat der Europäischen Union wurde seltener genannt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Gewerkschaftsvertreter aus den Mitgliedsstaaten der Osterweiterung sowohl aufgrund fehlender Kapazitäten als auch aufgrund einer grundsätzlichen Zufriedenheit mit den Entscheidungsprozessen der EU mit nur wenigen Ausnahmen weitgehend passive Rezipienten von Informationsflüssen sind. Eine aktivere Rolle übernehmen die untersuchten Gewerkschaften jedoch teilweise in interregionalen Kooperationen (im Projekt beispielhaft untersucht am Wiener Memorandum) und in Europäischen Betriebsräten. Aus unserer Sicht muss deshalb die Europäisierungsforschung jenseits der Debatte über "top-down" oder "bottom-up" die vollständigen Verflechtungen im Rahmen der multilevel governance der EU in den Blick nehmen.