Forschungsprojekt: Betriebsratsgründungen

Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung durch Betriebsratsgründungen: Prozesse und Strategien der Betriebsratsgründung

Projektziel

Obwohl die große Bedeutung von Betriebsräten für die demokratische Beteiligung der Beschäftigten sowie die Kontrolle arbeitsrechtlicher Standards und Tarifnormen unbestritten ist, wurden die Prozesse von Betriebsratsgründungen bislang kaum erforscht. Die abgeschlossene Studie untersuchte deshalb erstmals systematisch die Ursachen und Verläufe von Betriebsratsgründungen in verschiedenen Branchen.

Veröffentlichungen

Artus, Ingrid, Clemens Kraetsch und Silke Röbenack, 2016. Betriebsratsgründungen. Typische Phasen, Varianten und Probleme(Öffnet in einem neuen Fenster), WSI Mitteilungen, 3, S. 183-193.

Artus, Ingrid, Clemens Kraetsch und Silke Röbenack, 2015. Betriebsratsgründungen(Öffnet in einem neuen Fenster), Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, edition sigma 181, Baden-Baden: Nomos, 287 Seiten.

Artus, Ingrid, Clemens Kraetsch und Silke Röbenack, 2015. Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung durch Betriebsratsgründungen Prozesse und Strategien der Betriebsratsgründung. Abschlussbericht, Erlangen, 274 Seiten.

Weitere Informationen

Artus, Ingrid; Röbenack, Silke; Kraetsch, Clemens: Gründungsmotive.-
http://boeckler.de/46154_46165.htm

Projektbeschreibung

Kontext

Seit Mitte der 1990er Jahre lässt sich eine Abnahme der Wirksamkeit der Vertretung von Beschäftigteninteressen feststellen, deren Ursachen hauptsächlich in der sinkenden Wirksamkeit von Flächentarifverträgen - mit der Folge einer Verbetrieblichung und Dezentralisierung der Interessenvertretung - und dem starken ökonomischen Wachstum in mitbestimmungsfernen bzw. -freien Sektoren (Dienstleistungsbereich, Klein- und Mittelbetriebe, Leiharbeit) liegen. Betriebsräte sind neben den Gewerkschaften die zentralen Akteure für die Vertretung der Interessen von ArbeitnehmerInnen im deutschen System der industriellen Beziehungen. Nicht nur, aber vor allem im Dienstleistungsbereich und in den schnell wachsenden Niedriglohnzonen garantieren vielfach nur Betriebsräte aufgrund ihrer gesetzlich verankerten Eingriffsrechte die Einhaltung minimaler Standards hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen. Gerade hier ist jedoch der Deckungsgrad von Betriebsräten besonders gering.

Fragestellung

Die Forschung zu betrieblicher Mitbestimmung hat sich in der Vergangenheit primär auf die Untersuchung bereits bestehender Betriebsräte konzentriert. Die Analyse der Gründungsprozesse und des "Absterbens" von Betriebsräten wurde dagegen nur am Rande von Forschungsprojekten "mit"-thematisiert. Ziel des Forschungsvorhabens war es daher, erstmals systematische Einsichten darüber zu gewinnen, wie, warum, in welchen Betrieben, unter welchen Bedingungen und mit welchen Erfolgschancen Betriebsräte gegründet werden: Welche Entwicklungen (ökonomische Krise des Betriebs, Eigentümerwechsel etc.), Argumente (z.B. gewerkschaftliche Kampagnen, öffentlicher Diskurs über die Legitimität von Mitbestimmung) und Impulse (z.B. konkrete Konfliktfälle) sind für die betrieblichen Akteure handlungsrelevant bei der Gründung eines Betriebsrats? Zusätzlich wurde erforscht, inwiefern Konzern- und/oder Gesamtbetriebsräte die Möglichkeit nutzen, Betriebsratswahlen in betriebsratslosen Betrieben einzuleiten.

Untersuchungsmethoden

Die Untersuchung kennzeichnet ein Mix aus standardisierter computergestützter Telefonbefragung (CATI), Experteninterviews und qualitativen Betriebsfallstudien. Zur Vorbreitung der Studie wurden Experteninterviews mit elf VertreterInnen aus fünf Gewerkschaften geführt. In der quantitativen CATI-Befragung wurden Betriebe befragt, in denen in den vergangenen 10 Jahren Betriebsratsgründungen stattgefunden hatten, wobei neben den Strukturdaten grundlegende Merkmale der Gründungshistorien erfasst wurden. Das Kernstück der Studie bildeten qualitative Fallstudien zu Neugründungen von Betriebsräten. Dabei wurden 76 Interviews in 54 Betrieben durchgeführt. Im Rahmen der Fallstudien wurde in einigen stark filialisierten Unternehmen aus dem Dienstleistungsbereich auch der Frage nachgegangen, inwiefern Gesamt- bzw. Konzernbetriebsräte ihre mit der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes von 2001 neu geschaffenen Möglichkeiten zur Initiierung von Betriebsratswahlen nutzen (können).

Darstellung der Ergebnisse

- Die Gründung eines Betriebsrats ist voraussetzungsvoll: in der Regel bedarf es zum einen einer einheitlichen Sicht der Beschäftigten auf "ihre betriebliche Welt", in der ein Betriebsrat zur Vertretung der spezifischen Belegschaftsinteressen als notwendig und legitim erscheint und zum anderen innerbetrieblich anerkannter ProtagonistInnen, die willens wie fähig sind, die Gründung eines Betriebsrates erfolgreich voranzutreiben.

- Es wurde ein universeller Phasenverlauf von Betriebsratsgründungen ermittelt: (1) Phase informeller Interessenrepräsentation, (2) Latenzphase, (3) Formierungsphase, (4) Konstituierungsphase und (5) Phase der Vertretungswirksamkeit.

- Aus dem empirischen Material wurden fünf typische Muster von Betriebsratsgründungen rekonstruiert; die u.a. entlang der Frage differieren, ob die neu gewählten Gremien schnell vertretungswirksam werden oder nicht.

- Gewerkschaften sowie Gesamt- bzw. Konzernbetriebsräte sind bei Betriebsratsgründungen wichtige Akteure; ihre Unterstützungsleistungen können den Ausschlag dafür geben, ob eine Betriebsratsgründung erfolgreich ist und ein vertretungswirksames Gremium entsteht - oder nicht.

Projektleitung und -bearbeitung

Projektleitung

Prof. Dr. Ingrid Artus
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Institut für Soziologie

Bearbeitung

Dr. Silke Röbenack
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Institut für Soziologie

Clemens Kraetsch
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Institut für Soziologie

Kontakt

Dr. Stefan Lücking
Hans-Böckler-Stiftung
Forschungsförderung